Der Charakter
"Noch sind es Welpen, die die meiste Zeit des Tages
schlafen. Über ihr Wesen oder ihren Charakter kann man jetzt noch gar
nichts aussagen. Ihr späteres Verhalten wird durch Anlage und Prägung
beeinflußt" |

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Der Berger de Brie gehört zur Gruppe der Hirtenhunde, den sog.
Hirtentreibhunden. Ihre Aufgabe bestand ursprünglich darin, Schafe zu hüten,
zu treiben und auch zu suchen. Sie waren anderes als die großen
Schafhunde (Herdenschutzhunde, z. B. Kuvacz oder Pyrenäenberghund), die
die Herde zusammenhalten und vor zwei oder vierbeinigen Feinden schützen
mußten. Diese lebten Tag und Nacht mit ihren Herden und hingen immer mehr
an den Schafen als an ihren Hirten. Anders die Hirtentreibhunde, so z. B. der
Berger de Brie. Sie lebten bei den Hirten und waren daher viel menschenbezogener
und ließen sich von ihnen mit Aufgaben beauftragen. Sie arbeiteten viel
selbständiger und mußten daher mit viel Konsequenz und Einsatz
erzogen werden.
Durch die Jahrhunderte dauernde Zusammenarbeit mit dem Menschen stecken
auch heute noch viele Hirtenhundeigenschaften im Briard, auch wenn aus dem
Arbeitshund der französischen Bauern inzwischen ein Familienhund geworden
ist, der in Großstädten ebenso zuhause ist wie auf dem Land. Im
Gegensatz zu Jagdhunden neigen sie kaum zum Wildern oder Streunen, sondern sind
an das Haus und die Familie, d. h. das Ersatzrudel und das Grundstück
gebunden.
Dr. Vet Maurice Luquet beschreibt den Charakter des Briards in seinem Buch "Le
Berger de Brie ou Briard" sinngemäß so:
"Der Briard ist ein Hund, der in Frankreich als Wachhund für das
Haus, aber auch als Hütehund für Herden gehalten wird.
Sein rustikales Aussehen und sein reichliches, gewelltes Fell haben ihn sehr
beliebt gemacht. Er wird wegen seiner Robustheit, seiner Lebensfreude und seiner
Intelligenz geschätzt. Diese Eigenschaften haben ihn zu einem angenehmen
Begleiter bei Spaziergängen und zu einem exzellenten Hüter des
Hauses gemacht.
Er ist sanft zu den Kindern, deren Blicke er spontan durch sein prächtiges
Fell anzieht. Er spielt freiwillig mit ihnen und erträgt geduldig all ihre
Launen" (...wenn er keine schlechten Erfahrungen mit ihnen gemacht hat,
denn die merkt er sich.)
Bei der Beschreibung einer Hunderasse können natürlich nur
Eigenschaften und Merkmale genannt werden, die dem allgemeinen Erscheinungsbild
einer Rasse entsprechen. Im Extremfall kann der einzelne Hund rasseuntypische
Verhaltensweisen zeigen, die in keiner Rassebeschreibung zu finden sind. .
So kann es neben ausgesprochen ängstlichen auch sehr agressive Hunde
geben, die man besser nicht mit Kindern allein läßt. Der Grund hierfür
liegt oft in einer mangelnden Sozialiation, in schlechten Erfahrungen, die der
Hund gemacht hat oder in einer nicht geklärten Rangordnung.
Veranlagungen werden zwar angeboren, man darf aber den Faktor Erziehung
durch den Menschen, bzw. Prägung durch die Umwelt bei der Ausbildung des
Charakters nicht übersehen. Die Veranlagung für die eine oder andere
Richtung bringt der Welpe mit. Das, was der Mensch daraus macht, in welche
Richtung er den jungen Hund lenkt, das verantwortet er weitgehend selbst.
(vgl. auch die Ausführungen zur Sozialisation)
Die Hauptaufgabe der Briards bestand früher darin, nicht nur die Herden
zu hüten, sondern sie sollten auch das Haus bewachen. Sie sollten früh
anzeigen, wenn sich den einsam gelegenen Bauernhöfen fremde Menschen näherten.
Ein gehöriges Maß an Mißtrauen Fremden gegenüber war
also notwendig und wurde gefördert. Diese Reserviertheit ist heute nicht
mehr erwünscht, denn die wenigsten Briardbesitzer wohnen auf abgelegenen
Bauernhöfen oder in den outbacks. Die Hunde müssen heute vielmehr in
der Großstadt zurechtkommen. Deshalb werden extrem mißtrauische
Briards von der Zucht ausgeschlossen. Es ist aber immer wichtig, daß der
junge Berger de Brie viele Erfahrungen mit Menschen und seiner Umwelt macht. Er
braucht deshalb schon in der Prägungsphase und auch später sehr viel
Kontakt und sollte so oft wie möglich mitgenommen werden, damit er viele
positive Eindrücke sammeln kann. Der Briard ist somit kein Hund, den man
nur im Garten oder auf der Wiese halten kann, er will vielmehr gefordert werden
und beansprucht viel Zeit.
In der deutschsprachigen Literatur wird der Charakter des Briards so
beschrieben:
V. Sandmann sieht ihn in Ihrem Buch Berger de Brie/Briard so: "Der
Briard liebt es, Aufgaben zu haben und sich nützlich zu machen. Hat er eine
Aufgabe genau verstanden, so kann er Schafe, Pferde oder auch Kinder hüten.
Wichtig ist, daß Hund und Herr sich tatsächlich verstehen und eine
Einheit bilden."
K. Wimmer-Kiekbusch schreibt in ihrem Buch DerBriard: "Der Briard ist
grundsätzlich ein intelligenter, lebhafter, pfiffiger, immer zu Arbeit oder
Spiel aufgelegter Hund, der dennoch Ruhe und Autorität auszustrahlen
vermag. Er ist ein Hund mit Herz und Seele, mit Geist und Initiative, mit Mut
und viel Energie. Sein enormes Temperament kann einem ruhigen Menschen schon
sehr zu schaffen machen. Als typischer Hirtenhund kann er unermüdlich
seinen Dienst versehen. Man kann ihn wegen seiner Gabe, sich ungemein zu
konzentrieren, fast als gewissenhaft bezeichnen. ...Er benötigt für
seine Aufgaben wenig Übung. Wichtig ist nur, daß er genau verstanden
hat, was man von ihm erwartet. Voraussetzung ist also die Einheit zwischen Hund
und Mensch, das gegenseitige Verstehen. IHR Briard, den SIE großziehen,
wird immer so einmalig sein und sich so entwickeln, wie SIE ihn formen. Der
Volksmund sagt so schön: `Wie der Herr, so`s Gescherr`."
In der Zeitschrift PARTNER HUND wird der Berger de Brie im Rasseportrait
ebenfalls charakterisiert " Ein Briard ist gelassen und ruhig und
eigentlich durch nichts zu erschüttern, aber er ist schon als Welpe wachsam
und bald auch jederzeit schutzbereit. Im eigenen Rudel ist er anhänglich,
sanft, verschmust, verspielt und mit einer Engelsgeduld gegenüber
`Schutzbefohlenen`, aber Fremde gehören nicht zu seinem Rudel, denen
begegnet er, sobald er erwachsen ist und ohne es je gelernt zu haben, immer mit
distanzierter Zurückhaltung... Innendrin sind diese selbstbewußten
Kerle die `reinsten Sensibelchen`und reagieren empfindlich auf jede Stimmung.
Der sonst so heißgeliebte Briardhalter braucht also, wenn er sich
durchsetzen will, viel Fingerspitzengefühl, viel Geduld und eine Menge
freundlicher Konsequenz."
Wachsamkeit und Mißtrauen gegenüber Fremden gehören also zu
den Eigenschaften der Rasse. Wenn ein Briard aber seine Aufgabe verstanden hat,
so führt er sie gewissenhaft aus, auch wenn er gar nicht mehr mißtrauisch
sein soll. So war z. B. der Rüde Grand Filou in Ramstein oft im Frisörladen
seiner Besitzerin , begrüßte die Kunden und brachte nach der Haarwäsche
ein frisches Handtuch; oder Oliviero, ein Rüde, der Kommissar Rex zum
Vorbild hat, und in einem Blumenladen in Rheda-Wiedenbrück lernt, den
Damen der Kundschaft rote Rosen zu überreichen. Unsere Briards begrüßen
den Besuch meist recht stürmisch im Wohnzimmer, allerdings müssen Gäste
auf der Couch oder im Sessel sitzen. Wenn sie nicht sofort auf bestimmte
Menschen zugehen, hat das eigentlich immer seinen Grund: Diese Menschen sind
keine Hundefreunde und denen muß man mißtrauen.
Den typischen Berger de Brie gibt eigentlich gar nicht. Es gibt zwar
gemeinsame Wesenszüge, aber jeder Briard entwickelt seine eigene Persönlichkeit
und kaum einer gleicht im Wesen und Charakter dem anderen. Sie sind oft ebenso
wie ihre Besitzer Individualisten.
Seit Beginn der Industrialisierung hat sich das Leben auf der Erde
entscheidend verändert, wobei die Geschwindigkweit der Veränderungen
immer mehr zunimmt. Heute leben die meisten Menschen in Städten und auch
ihre Hunde müssen in Städten leben. Jagen und sich verteidigen müssen
gehören nicht mehr zu den täglichen Aufgaben. Verhaltensweisen, die
vor wenigen hundert Jahren noch notwendig waren und die letztendlich zur Züchtung
bestimmter Rassen führten, sind heute meist unerwünscht. Heute sollen
Hunde freundlich sein, nicht raufen, und sonntags im Park promenieren. Diese
Veränderungen im Verhalten werden auch vom Berger de Brie gefordert. Sehr
deutlich wird dies in der Rassebeschreibung des BCD (Briard Club Deutschland),
in der dem Berger de Brie vor allem eine gute Eignung als Familienhund
bescheinigt wird, der - bei einem verantwortungsbewußten Züchter
erworben - nach wie vor ein Vollgebrauchshund ist, so z. B. als Hütehund,
aber auch als Sport- und Rettungshund. Er wird als ausgesprochen temperamentvoll
beschrieben, der eine hervorragende Lenkbarkeit aufweist. Dabei zeichnet ihn
eine mittlere Führerhärte aus, während er Überhärte
sehr schlecht verträgt. Seine Fähigkeit, sich anzupassen, ist
ausgezeichnet, allerdings ist er immer noch oft zurückhaltend Fremdpersonen
gegenüber.
Bei der Zuchtzulassung müssen die Berger de Brie zeigen, daß
sie im 20.und 21. Jahrhundert zurechtkommen. Beim Verhaltenstest der
Zuchtzulassung mußten dann die Hunde im sog. Stadtteiltest auf große
Hauptbahnhöfe, in Einkaufszentren oder schlicht allein in Telefonzellen.
Ein wesensfester Hund sollte davon unberührt bleiben (Gott sei Dank gibt es
heute Handys.) Heute findet der Stadtteiltest z. B. auf dem Wochenmarkt oder in
der Einkaufsstraße statt oder eineAlltagssituation wird auf dem Hundeplatz
simuliert. Bei der Selektion, das ist eine Ausstellung mit Standardbeurteilung
und Verhaltenstest, sprechen die Franzosen übrigens nicht von Verhalten
(comportement)sondern, liebevoll vom test de caractère.
Im BCD wird heute bei der Zuchtzulassung das Verhalten eines Hundes nach
folgenden Zuchtauswahlkriterien beurteilt:
- Selbstsicherheit
- Temperament
- Wachsamkeit/Mut
- Beruhigung.
Beim Verhaltenstest wird der Hund dann nach diesen Beurteilungskriterien
bewertet:
1. Menschenmenge/Verkehr
2. Verhalten zu Artgenossen
3. Verhalten zu Fremden im Alltag
4. Spiel mit dem Halter
5. Spiel mit Fremden
6. Optische Einwirkungen
7. Akustische Einwirkungen
8. Schuß
9. Wachsamkeit/Mut
10. Beruhigung
11. Temperament
12. Verhalten zum Halter
13. Selbstsicherheit
14. Verhalten bei der Standardbeurteilung.
Bei diesem Verhaltenstest wird von den Hunden eine ganze Menge verlangt,
so müssen sie sich z. B. vor fremden Menschen auf den Rücken legen
lassen, was einer Unterwürfigkeitsgeste gleichkommt. Sie dürfen sich
von einem Schuß aus einer 9 mm Pistole nicht beeindrucken lassen und sie müssen
bei der Bedrohung durch einen Fremden ihren "Hund stehen", sich
anschließend schnell wieder beruhigen und dann vielleicht sogar mit ihm
spielen, wenn er es will.
Vergleicht man diese heute gewünschten Verhaltensweisen mit den ursprünglichen
Anforderungen der französischen Bauern, so wird deutlich, wie sehr sich
diese Rasse verändert hat. Dies trifft auch auf das Erscheinungsbild des
Berger de Brie zu, denn die heutigen Briards wären mit ihrem langen Fell
beim Arbeitseinsatz an der Schafherde bereits nach wenigen Tagen hoffnungslos
verfilzt.
Dagegen haben rustikale Briards vom alten Schlag mit ihrem kurzem Fell auf
Zuchtausstellungen heute keine Chance mehr.
Zur Zeit erleben wir ganz deutlich, wie der Mensch eine Rasse nach seinen Wünschen,
Vorstellungen und Bedürfnisseen im Aussehen und auch im Charakter verändert.
Ein Urteil hierüber muß jeder für sich selbst fällen. Er
sollte aber dabei bedenken, daß nach der Evolutionstheorie von Charles
Darwin das Leben auf der Erde immer ein Anpassungs- und Weiterentwicklungsprozeß
ist. Nur der hat Chancen, der mit neuen Anforderungen und Lebenssituationen
fertig wird.
So wie der Berger de Brie befinden sich auch andere alte Hunderassen in
diesem Entwicklungsprozeß und das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür,
daß sie oft als schwierig charakterisiert werden.So wurden z. B. die
Rhodesian Ridgeback für die Löwenjagd in Afrika gezüchtet; in
Deutschland gibt es jedoch keine frei lebenden Löwen, die man jagen kann.
Oder der Hovarwart, der zum Schutz der Höfe gezüchtet wurde; die
wenigsten von ihnen leben heute auf Bauernhöfen, sondern in schönen
Einfamilienhäusern in der Vorstadt, oder sogar in der Mietswohnung im
Zentrum. Und für Recht und Ordnung sorgt heute die Polizei.
Schwierig werden diese Hunde dann, wenn ihnen der neue Besitzer keine
Aufgabe, keine Beschäftigung gibt, die sie ausfüllt. Sie eignen sich
nicht als Sofahund und sind auch keine Porzellanfiguren, die man in die Ecke
stellen kann. Von alleine oder so nebenbei geht gar nichts Die Sozialisation
ist nach der 8. Lebenswoche nicht abgeschlossen und das, was der Züchter
begonnen hat, muß vom neuen Besitzer beibehalten und weiter gefördert
werden. Das gilt für das gesamte Hundeleben, wobei die Art der Beschäftigung
eigentlich egal ist. Dann klappt`s nicht nur mit dem Nachbarn, sondern auch mit
dem Hund, auch mit dem Berger de Brie oder Birard.
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